Die Zeit allein ermöglicht Existenz...
Aber wenn der Mensch nicht der Maßstab ist, (…) was definiert dann alles?“ Die Zeit allein ermöglicht (…) Existenz. Zeit ist die einzig wahre Maßeinheit. Sie beweist die Existenz von Materie. Ohne die Zeit existieren wir nicht.“
Zitat aus dem Film Lucy ´
Wieder ist ein Monat ins Land gegangen. Der Herbst nähert sich langsam mit regenreichen, kalten Tagen und Nächten. Die letzten Wochen haben wir bei verschiedenen Freunden verbracht, um deren Lebensentwurf und damit sie selber besser kennenzulernen. Nachdem wir am Bahnwärterhäuschen in DDR Nostalgie schwebten und uns an der alten, immer noch offenen Betriebskantine des VEB Wärmegerätewerkes, den schön bemusterten backsteinernen Fabrikgebäuden, dem regelmäßigen Rumpeln der Züge sowie dem Klingeln der Bahnschranke erfreuten, die Elbauen mit all den Biohöfen und Hofverkäufen erkundeten und den Kühen beim gemütlichen Widerkäuen zuschauten, haben wir nun hier in der Nähe des Brandenburgischen viel mit Freunden – nicht nur an deren, sondern auch an unserem Projekt – geschafft. Ich bewundere den Hausherren dabei, mit welcher Sicherheit und Zuversicht er über herausgerissene Deckenböden balanciert und für seine Vision für das schönste und weiträumigste alte Haus Gewölbedecken aufmauert, Fenster in der einen Ecke entfernt und in der anderen Ecke einfügt, stolz wie Bolle am Abend vor gemachter Arbeit steht und jedem ein Lächeln ins Gesicht zaubert, wenn er vom fertigen Traum erzählt und man alles genau so vor sich sieht, wie er es sich vorstellt.
Ich merke, wie mich seine Begeisterung mitreißt und auch auf meine Reise, die ja meine Vision ist, freuen lässt.
Und sicher erinnert ihr euch noch an die zwei Fragen, die ich in meinem letzten Blogpost von Juli gestellt hatte – nicht nur an die Leser dieses Beitrages, sondern auch an Freunde mit der Bitte, sich die Zeit zu nehmen, in Ruhe darüber nachzudenken und mir gern ihre Antwort zu geben. Einige haben mich irritiert angeschaut und sofort verneint, diese Fragen beantworten zu können. Andere gelacht und aus dem Stegreif die erste Frage verneint und die zweite Frage mit Sätzen wie : „Die Antwort passt in keinen Satz. Das interessiert Niemanden“ oder „Noch nie darüber nachgedacht und auch keine Zeit dafür.“, geantwortet. Wenige haben zugesagt, einmal einen Monat nachzudenken und sich auseinanderzusetzen. Schwierig ist die Fragestellung auf jeden Fall.
Von diesen Wenigen ist eine halbe Handvoll übrig geblieben und ich möchte gern ihre Antworten mit einfließen lassen.
Doch zunächst zur ersten Frage, die ich stellte:
Hattest Du schon einmal einen Schlaf-Traum, der Dich über Monate oder gar Jahre immer wieder begleitet und sich über diese Zeit weiterentwickelt oder gar am Ende auflöst ?
Dies war eine Frage, die alle Gefragten verneint hatten. Ein Umstand, der mich wundert, da ich – sonst hätte ich die Frage nicht gestellt – solch einen Traum bzw. mehrere solcher Träume tatsächlich habe.
Einer dieser wiederkehrenden und sich mit den Jahren entwickelnden Träume ist der Traum von der Wiederkehr nach Hause, dem ‚Sich darauf freuen’ und beim Einbiegen in die Straße irritiert feststellen, daß das Haus nicht mehr vorhanden ist. Die Straße ist an der Stelle leer und ich zweifle an mir, meiner Erinnerung und Wahrnehmung.
Über die Jahre hinweg nehme ich die Information, daß das Zuhause nicht mehr existiert, immer mehr im wiederkehrenden Traum auf und bin darauf vorbereitet, nichts mehr vorzufinden, um damit unverletzbarer umzugehen. Nun biege ich im Traum in die Straße und weiß schon vorab sicher und rational, daß Nichts mehr zu finden ist, möchte es mir aber nicht nehmen lassen, wenigsten ganz in Ruhe und voller Staunen die Straße abzugehen und in Kindheitserinnerungen zu schweben.
Es irritiert, erschüttert und verletzt mich nicht mehr, kein Elternhaus mehr vorzufinden. Ich gehe in mir ruhend die Straße entlang und nehme es als gegeben an. Dabei fühle ich mich stark und nicht nur dem, sondern explizit meinem Leben zugewandt. Ich bin durch die Auseinandersetzung mit diesem Traum über die Jahre immer mehr gewachsen – weg vom irritierten, verletzten und traurigen Kind hin zum emanzipierten Erwachsenen.
Um den Traum zu verstehen, habe ich mich mit meiner Kindheit und v.a. meinem Elternhaus auseinandersetzen müssen – und dies über meine Unstetigkeit bzw. die Reisen. Fernab ist man immer auf sich selbst zurückgeworfen, muß lernen, sich im Innen und Außen wahrzunehmen, aufrichtig und ehrlich sich selbst und damit auch dem Gegenüber aufzutreten – sich immer wieder neu aufzustellen, zurechtzurücken und zu verorten.
Der Traum vom Suchen der Heimat und des Zuhauses, welches nicht mehr vorgefunden wird, wenn man die Straße entlang geht und versucht, dorthin zu gelangen, ist ein Traum, den ich nun in mir selbst auflösen kann.
Mein Zuhause bin ich – es ist in mir, in meiner Mitte, meinem kleinen ‚Ohm-chen‘. Ebenso die Geborgenheit, die Sicherheit, Wärme und die Liebe.
Mir ist bewußt geworden, daß dies nicht abhängig von Menschen oder gar einem Ort ist. Ich trage es in mir und kann deswegen auch unbesorgt überall sein. Jeder trägt Alles in sich Alleine. Das Haus ist die eigene Seele, an dem bzw. an der man immer weiter baut, lüftet, die Türen öffnet oder schließt, in deren Zimmern man sich gerne, öfter oder selten aufhält, etwas, was mir Halt und innere Konsistenz gibt.
Und damit leite ich über zur zweiten gestellten Frage:
Wenn man Dich nach Deinem Leben fragt, wie würdest Du es in einem Satz zusammenfassen ?
Hier kamen von den Wenigen, die übrig blieben entweder sehr spontane oder ratlose Antworten:
“Immer hart an der Grenze.“
„Unkoordiniert.“ „Anstrengend. Punkt.“ „Immer gut funktioniert und noch nie wirklich über mein Leben nachgedacht.“
„Durch die schlechte Kindheit ist alles versaut. „
Viele der Antwortenden sind typische Wendekinder, die den Verlust von Vertrautem, Liebgewonnenem und moralischen Werten erfahren mußten und seitdem in einem ständigen Struggle mit System, Geist und Körper stehen. Manche finden sich selber nicht mehr, haben jede innere Verortung verloren, schauen in sich und finden die Eishöhle oder ähnlich Ungemütliches als inneren Kraftort.
Trauer und Wut höre ich bei Einigen heraus – darüber, daß Bemühungen für eine bessere Welt über Nacht passé waren. Auch ich habe mich sehr schwer mit der Antwort getan – zumal ein Satz dafür nicht ausreichend erscheint. Dennoch möchte ich es versucht haben und bin zu folgender Zusammenfassung gekommen:
„Ich habe jeden Tag die Welt und das Leben neu begrüßt oder verflucht, für mich erfunden, jede Begegnung wahr und in mich aufgenommen; versucht, mit Liebe mir selbst und dem Gegenüber entgegen zu treten, habe Perspektiven gewechselt oder wechseln müssen, gelacht und geweint, habe verletzt und bin verletzt worden, habe Hände gehalten und dankbar genommen, bin wieder aufgestanden, habe inne gehalten, alles gedreht und gewendet, bin beharrlich voran gegangen, manchmal zurückgefallen und habe meine Träume verwirklicht, ohne Anderen zu schaden.“
Mir ist bewußt, daß diese Zusammenfassung recht allgemein gehalten ist. Ich bin mir aber sicher, daß sich der Eine oder Andere in einzelnen Passagen wiederfinden kann bzw. inspiriert wird, darüber nachzudenken. So ein Leben ist nicht wirklich plan- oder vorhersehbar. Ein schlechter oder guter Tag, eine Laune schlechthin kann dem Lebensweg in Nullkommanichts eine völlig andere Wendung geben. Und doch glaube ich daran, daß Alles, was kommt, zu einem selbst gehört und genau richtig ist. Ich habe mir inzwischen angewöhnt, immer den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen und anzunehmen, was mir angeboten wird. Widerstände, negative Energien u.ä. versuche ich aus meinem Leben herauszuhalten, ohne damit zu meinen, weder aufrechten Gang noch Rückrat oder Grundsätze zu besitzen.
Leider kann man sein Leben nicht unendlich gestalten, die Zeiten zurückdrehen und Weisheiten sowie Kraft einfach in die Zeit vorab mitnehmen. Trial and Error prägen unser Tun und es gibt für jeden von uns eine Aufgabe, die erfüllt werden möchte, um zum positiven Gleichgewicht der Welt beizutragen.
„Vor einer Milliarde Jahren wurde uns das Leben geschenkt. Macht etwas daraus!“
Zitat aus dem Film ˋ Lucy ´





