Die innere Reise
Nun wird es wirklich Zeit für den ersten Blogpost hier auf dieser Seite.
Seit zwei Monaten schon sind wir auf der Reise – noch nicht wie geplant durch andere Länder auf dem Weg in’s Kosmodrom, sondern aktuell auf eine andere Art: der Bus steht still und wir reisen durch und in uns Selbst. Durch Vergangenheit und Erinnerung, durch Loslassen, neu Aufstellen, fließen lassen und geduldig annehmen.
Wie geplant haben wir Ende April die Wohnung übergeben – nach wochenlangem Sortieren von Dingen, von denen man schon lange gar keine Ahnung hatte, dass man sie je besaß.
Erbstücke, Liebgewesenes aus der Kindheit, Sentimentalitäten und Ballast – alles nochmal in die Hand genommen und in’s Herz gelassen, durchgeatmet und final sortiert: Weitergabe zur sinnvollen Verwertung, Einlagerung, Wertstoffhof.
Ursprünglich wollten wir nun im Juni bereits seit einiger Zeit in den ukrainischen Karpaten bei Freunden sein. Wollten helfen, den neuen Hof nach Umzug etwas höher in die Berge hinein, herzurichten.
Die Ostseeküste hätten wir im Frühlingserwachen erkundet, die Tier hätten das Meer und den salzigen Wind geschnuppert. Wir hätten das Oderhaff und die Naturschutzgebiete entlang der weißrussischen Grenze mit großen Augen und offenem Mund in all seiner Schönheit entdeckt und den Bisons im letzten europäischen Urwald mindesten einmal ‚Gute Nacht !‘ gesagt.
Aber: hier spule ich die Erzählung zurück. Diese Reise ging so noch nicht los.
Noch haben wir der Heimat, am schönen Elbufer stehend, nicht den Rücken gekehrt und lassen Andere reisen, ankommen und berichten.
Nur wenig zeitverzögert sollte die Reise vor Wochen losgehen, da die für Russland benötigte Impfung und deren Terminierung doch noch relativ spontan, aber zeitnah klappte.
Keine große Sache, dachte ich – erster Impftermin Mitte Mai und der zweite gleich zu Anfang Juni – Mitte sind wir dann wirklich weg. Die möglichen Impfreaktionen waren laut Paul Ehrlich Institut gering und selten auftretend. Da wußte ich noch nicht, dass diese – wenn überhaupt – von den jeweils Betroffenen selber gemeldet werden müßen, somit gar nicht die tatsächliche Lage widerspiegeln.
Sei’s drum. Die „sehr seltenen“ Impfreaktionen lassen uns hier nun weiterhin ausharren und mittlerweile nur noch hoffen, dass die Reise tatsächlich noch starten kann.
Ich nehme die Herausforderung an, da mir bewußt ist, dass es immer einen Sinn dahinter gibt.
Als wir vor zwei Monaten hier ankamen waren die Linden gerade im Austrieb, die Tage und Nächte noch kühl, z.T. verregnet und grau. Es war ruhig und leer hier. Noch herrschten Lock-down und Ausgangsbeschränkungen. Beides sehr deutlich hier zu spüren.
Die Zeit und das Leben waren verlangsamt und gedeckelt. Nicht einmal ein Echo war zu hören. Zahllose Regenbögen überspannten dafür das Land und gaben Hoffnung auf das Finden der Schatztruhe voll Glück.
Jetzt werfen die Linden wohltuende Schatten, verlieren ihre Blüten und die ersten Nasen segeln zu Boden.
Die Corona-Beschränkungen sind aufgehoben. Der Platz wird voller – Durchreisende, die lang genug gewartet haben, bis es wieder gen Süden gehen kann. Kurzzeitcamper, die einfach nur raus wollen, um durchzuatmen und Ausprobierer mit ihren frisch ausgebauten Van’s, die herausfinden möchten, ob der Einbau eines Campingklos nun doch sinnvoller ist, als das sich mit den Nachbarn anlegen.
Eine Mischung sehr bunt und interessant – das macht das Ausharren und Warten wesentlich leichter. Der Input ist enorm.
Die Menschen begegnen sich entspannter, offener und wieder mit einem Lächeln im Gesicht. Das hat so lange wirklich gefehlt.
Seit knapp zwei Wochen stimmt auch das musikalische Rahmenprogramm mit den Picknick-Konzerten in der Flutrinne. Es ist eine Freude, all die jungen Menschen zu sehen, die nun halbwegs ihre Jugend und das Leben zurückbekommen haben.
Die Tiere haben sich sehr gut in das ‚freie‘ Leben eingefunden. Sojus ist entspannt und zufrieden. Heinz’chen ein immer selbstverständlicher werdender Geselle, der auch schonmal ganz lässig über den Stellplatz schlappt, um von fremden Tellerchen zu essen und in fremden Bettchen zu kuscheln.
Mit einigen Dauerstehern hat man sich angefreundet, tauscht und hilft sich aus.
Neue Freundschaften entstehen, alte kommen unerwartet auf den Prüfstand. Bei solch einem Lebensentwurf werden Zuverlässigkeiten erprobt oder neu verhandelt.
Staunend stelle ich aber auch fest, dass mir das Auseinanderbrechen von Beziehungen gar nicht mehr so weh tut – dass ich dies eher ohne Gram zur Kenntnis nehme: als etwas, wofür die Zeit nun gekommen ist.
Steine sammeln, Steine zerstreuen…
Vor Jahren aus dem Leben verabschiedete Menschen treten unverhofft, wunderschön weich, offen und mitfühlend wieder auf den Weg und gehen kraftspendende Schritte gemeinsam mit uns.
Dieses abwartende Ruhen hier läßt mich wachsen und fühlen, dass alles, was auch immer kommt, zu mir bzw. zu uns gehört.
In den Tagen und Wochen wurde der Bus nochmals optimiert.
Dinge, die bereits ein- oder angebaut waren und einen durchaus praktischen Zweck erfüllten, sind rück- oder ganz abgebaut, da im täglichen Gebrauch nun eher störend oder die Tiere irritierend.
Der Bus wird nun immer mehr unser gemeinsames Zuhause und etwas anderes kann ich mir aktuell auch gar nicht mehr vorstellen.
Heute feiern wir den längsten Tag im Jahr, die Sommersonnenwende hier in Dresden. Bye, bye du altes Jahr !
Das Johanniskraut ist gesammelt, die Kränze für alle geflochten – um Mitternacht beginnt das neue Halbjahr und alles fließt zum Guten.
Auf bald und Ahoi !
Schaut gern bei Instagram hinein. Dort gibt es aktuelle Informationen und Fotos.